Bildanalyse – James Nachtwey, Kabul, Afghanistan

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Eine Bildanalyse ist interessant und wichtig für Fotografien, weil man feststellt, wie viele Elemente ein gutes Bild hat und wie wenige davon man bewusst wahrnimmt. Je mehr man beginnt über solche, augenscheinlich unwichtige, Details nachzudenken, dest stärker fließen diese Fragen und Möglichkeiten ins eigene Denken und Schaffen ein.

Bei einer Bildanalyse stellt man sich immer zuerst einmal die Frage: Was macht die Wirksamkeit des Bildes aus?

Was ist das Gefühl? Eine skurrile Form des Alltages? Gegensätzlichkeit? Unsicherheit? Gleichgültigkeit? Humor? Verspieltheit? Gefahr?

Es schwingen hier eine Vielzahl von Gefühlen und Eindrücken mit.

Der visuelle Aufbau und die Komposition des Bildes ist exzellent. Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund sind klar definiert, überschneiden sich teilweise sogar, und tragen alle auf ihre Art zur Geschichte des gesamten Bildes bei.

Der Vordergrund und das dominante visuelle Element sind die Beine der beiden Jungen, die vom Panzerrohr baumeln. Sie wirken ominös und verspielt. Die Kampfhandlungen sind vorbei, aber der Panzer ist immer noch hier. Man kann darauf spielen, aber er könnte jederzeit wieder losfeuern.

Die Frau in der Sonne stellt den Mittelgrund dar und verankert das Bild. Wir versetzen und am Ehesten in ihre Rolle, weil wir ihr Gesicht sehen können. Sie wirkt zugänglich. Der Schatten des Panzerrohrs und der Beine fällt auf sie – das dient zum einen als ein interessantes visuelles Element, das Vordergrund und Mittelgrund miteinander verbindet, ist aber auch Teil der ominösen visuellen Sprache. Der Panzer – Zerstörung – ist in ihre Welt eingedrungen, wirft buchstäblich Finsternis auf sie.

Der Hintergrund ist wieder zweideutig. Die Menschen auf den Rädern und zu Fuß scheinen ihrem Leben nachzugehen, ganz ohne Drama und Spannung, aber die Häuser hinter ihnen sind Ruinen, komplett zerstört.

Alles kommt wieder zusammen in einer sehr bedrückenden Balance.

Nachtweys Absicht ist eine klare Geschichte zu vermitteln. Klar in der visuellen Sprache, komplex in der emotionalen Reaktion.

 

Worum geht es beim Fotografieren?

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Wo beginnt man wenn man ein Foto machen möchte?

Bei einem Gefühl, das man festhalten will.

Es geht nicht, im striktesten Sinn, um das abgebildete Objekt. Wenn es darum gehen würde, wäre es einfach zu sagen: beleuchte das so, beweg das Licht da rüber, mehr, weniger, aus. Schuss.

Viel mehr ist es ein Warten auf einen Moment, der klar macht, was man über einen Menschen, eine Situation, ein Gebäude etc. wahrnimmt. Das ist das Wichtigste. Fotografie ist ein Warten, ein Fragen, ein Suchen.

Ob man jetzt Lampen, Blitzanlagen oder nur die Sonne als Beleuchtung hat, es geht immer nur darum alle Element herumzubewegen – sich selbst und die Kamera inklusive – um eine Ausrichtung oder einen Moment zu finden, zu entdecken.

Es ist nur halb ein Schaffen. Wenn man meint, man kann alle Elemente unter Kontrolle haben, täuscht man sich entweder oder man frustriert sich. Es ist ebensoviel Warten wie Schaffen. Ebensoviel Zufall wie Kontrolle.

Um ein besserer Fotograf zu sein, muss man deswegen seine Aufmerksamkeit schärfen. Es gibt nur lose definierte Regeln und die kommen meistens nach getaner Arbeit…das heißt, man macht Aufnahmen, sieht dann einige davon funktionieren und daraus zieht man dann Regeln warum und warum nicht.

Wenn man über die Dinge und Menschen, die man fotografiert Bescheid weiß, dann fällt es einem vielleicht leichter bessere Bilder zu machen. Vielleicht aber auch wenn man gar nichts weiß, so tut als wäre man ein kleines Kind, das zum ersten Mal Licht entdeckt.

Skizzieren hilft, Meditieren hilft, Designen hilft. Alles, was den inneren Blick schärft.

Im Endeffekt geht es aber immer um das Gefühl, das man festhalten will. Je klarer das ist, desto besser wird das Bild. Keine Angst davor zu haben, Dinge und Menschen aufmerksam zu betrachten, Abläufe zu erkennen, darauf zu schauen wie das Licht fließt, kommt und geht. All das unterstützt einen dabei, das Bild zu finden nach dem man sucht.

Details kommen später, zuerst kommt einmal dieses ideale Bild.

Leben wir heutzutage in einem Kastensystem?

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Leben wir heutzutage in einem Kastensystem?

Wenn man wenig über Indien weiß, sieht man gerne mit einem herablassenden Schnauben auf das Land und sagt, „Ja, aber die haben ja das Kastensystem.“ Oft weiß man dann nicht genau, was denn das Kastensystem ist oder warum es denn so sozial verpönt ist (Ungleichheit, meint man, den Erzfeind eines sozialen Bürgers), aber die bloße Existenz davon reicht schon um sich aufs hohe Ross zu schwingen.

Ist das Kastensystem gut oder schlecht? Ist es Ursache oder Symptom sozialer Ungleichheit? Die schnelle Antwort ist immer beides, eine tiefgreifendere Antwort sprengt den Rahmen jedes Artikels.

Aber die Frage, die hier aufgeworfen werden soll ist jene: Leben wir in einem Kastensystem? Wir, die fortschrittlichen Westler? Europäer? Nicht jetzt bloß die Briten (deren rigides Ständesystem, apropos, hat auch einiges zur Ausbildung des indischen Kastensystems in seiner negativsten Ausformung beigetragen), sondern auch wir Österreicher.

Die Antwort ist eigentlich recht einfach. Schauen Sie einen anderen Menschen an und positionieren sie ihn auf einer sozialen Leiter über oder unter Ihnen selbst oder vielleicht sogar auf gleicher Augenhöhe? Dreckige Schuhe, feine Hemden, offene Schnürsenkel, unrasiert, lange Haare, Hipster, Bänker, Zuckerbäcker?

Wenn Sie das machen, dann, ja, willkommen. Sie leben in einem Kastensystem.

Aber das machen doch alle, mögen Sie sagen. Na ja, dann leben wohl Ihrer Definition nach nicht nur Sie selbst, sondern alle in einem Kastensystem. Alle behandeln einen Müllmann anders als einen Chefkoch. Einen Bettler anders als einen Arzt.

Alle gleich zu behandeln heißt hier freilich nicht, dass man dem Herrn Doktor brav eine Münze in den Hut wirft und Ivan auf der Strasse um eine Operation an der Hüfte bitten soll, nein, nein. Auch heißt es nicht, dass alles moralisch grau und morastig ist.

Kommt der Mensch vorher oder kommen seine statusgemäßen Signale vorher? Das heißt es. Besitzt man die Fähigkeit einen Anwalt als Menschen anzusehen oder nur als Funktion? Einen Bettler? Einen Immigranten?

Oder kann man nur in solchen Konzepten denken? Hat ein Mensch ohne die keine Identität, keine Gefühle, keine Daseinsberechtigung? Ist alles was man ist, an die äußere Erscheinung, an die amtlichen Bestätigungen und die (oft vielleicht gelangweilt oder verwirrt) verbrachte Ausbildung gebunden?

Ja?

Dann, ja, dann leben wir in einem Kastensystem und aus dem gibt es ein Entkommen nur durch Kommunikation, Kreativität, Intelligenz und Vorstellungskraft.

Reiseliteratur: Marokko

In Vorbereitung für den bald stattfindenden Workshop in Marokko, habe ich hier eine Liste von Büchern zusammengestellt um den Mitreisenden und potentiellen Mitreisenden ein paar Empfehlungen zu geben, das faszinierende Land schon vorab etwas kennenzulernen.

Ich stelle bewusst keine Amazon Links dazu – wenn ihr dort kaufen wollt, wisst ihr wie man hinkommt. Kleine Buchgeschäfte oder Second Hand Buchläden haben aber unvergleichlich mehr Charme.

Elias Canetti – Die Stimmen von Marrakesch

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Kaum greifbar, poetisch und gelegentlich wunderbar melancholisch – Elias Canettis Erinnerungen und Meditationen eines längeren Aufenthalts in der Stadt vor dem Hohen Atlas…Stimmen, Geflüster, Wortschwälle, Gelächter und Klagen machden die Stimmen von Marrakesch aus.

Tahir Shah – Der glücklichste Mensch der Welt

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Der Sohn des berühmten Sufi Autoren Idris Shah, Tahir Shah, ein literarischer Trickster mit Wahlheimat Casablanca, beschreibt hier seine Reise zu den Geschichtenerzählern Marokkos (und das sind knapp neunzig Prozent der Einwohner). Shah beschreibt Menschen in ihrer ganzen Skurrilität, Widersprüchlichkeit und Faszination.

Wyndham Lewis – Journey Into Barbary (nur auf englisch erhältlich)

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Der umstrittene Maler und Schrifsteller Wyndham Lewis machte sich im frühen zwanzigsten Jahrhundert auf eine Reise zu den Berbern auf…

Tahar Ben Jelloun – Die Nacht der Unschuld

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In dem Roman beschreibt einer der bedeutendsten Schrifsteller des Maghreb die Geschichte von Zahra, die von ihrem Vater als Ahmed, ein Knabe, erzogen wird und mit einer doppelten Identität in der Männerwelt ihrer Umgebung existieren muss.

Driss Charibi – Inspektor Ali im Trinity College

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Ein humorvoller Kriminalroman aus der Feder eines marokkanischen Autors…ich kenne ihn (noch) nicht, aber er scheint mir interessant genug um ihn auf die Liste zu setzen.

Astrid Därr – Marokko: Handbuch für individuelles Entdecken

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Und abschließend: Für alle, die einen guten Reiseführer durch das Land suchen.