Sightseeing mit Dealer Teil 5

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Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

 

Metallarbeiter in manchen Höfen und Gerber in anderen, wie sich herausstellt. Wir sind jetzt in den alten Arbeiterbezirken der Stadt, die an den Soukhs angrenzen und wo alles hergestellt wird, was dann glitzernd, funkelnd und bemalt in den Läden steht.
Die Arbeiter leben oft in diesen Höfen, angrenzend an ihre Werkstätten. Hier findet man nicht die Graveure, die islamische und westliche Schriftzeichen in ihren kleinen Läden für ein paar Dirham gravieren, sondern diese Männer produzieren Lampen, Schmuckwerk aus Metall, mit sorgfältig gestanzten Dekorationen und Verzierungen. Automatisierung sucht man hier vergebens. Die Männer schlagen die Löcher mit Hammer und Meißel, biegen das Kupfer mit Zangen.
Hier herrscht Konzentration. Schleifsteine drehen sich und Funken sprühen. Im oberen Stock – der Hof ist im arabischen Stil angelegt, in dem alle Fenster und in diesem Fall auch Türen nach innen auf ebendiesen Hof zeigen – spannen zwei ältere Männer Ziegenfelle zum Trocknen auf.
Türen öffnen und schließen sich, Gestalten huschen mal hierhin, mal dorthin. Es geht um stille Geschäftigkeit und der Hof wirkt alt mit halbverfallenem Mauerwerk und verblassenden, absplitternden Holztüren und Fenstern. Wie das Fahrrad, das verwittert und rostig aussieht, aber immer noch verwendet wird, hat auch dieser Ort ein Gefühl von Alter, Verfall und Zeitlosigkeit. Diese Männer sind ihre eigenen Väter und Großväter, machen genau die selben Handlungen, denken die selben Gedanken wie ihre Vorfahren.
Gewand ändert sich, was man in den Taschen trägt, was man im Kopf trägt, aber das Blut bleibt das Gleiche, zumindest für diese Männer. An so einem Ort verstehe ich die Stadt als einen riesige, organische Fabrik, wo Menschen hämmern, schleppen, verkaufen und kaufen. Das Gebet und das Gespräch, beides Möglichkeiten – für Ruhe oder für mehr Handel – sind ein Weg aus der nicht endenden Geschäftigkeit.
Es ist trügerisch zu glauben, dass irgendjemand hier faul ist. Gott treibt diese Menschen, der Gedanke einer sinnlichen Welt, in der manche zur Arbeit verdammt sind um dann im Paradies ihren gerechten Lohn zu bekommen. Wie streng die Regeln sind, aber wie verführerisch sie zu brechen, immer wieder oder sie zu verstehen, das Leben als Gesetz zu sehen, wie es im Qu’ran steht, dessen Zeilen von der Welt geflüstert werden.
Seltsam, dass ich die Räume der Medrasse Ben Yousseff schön aber leer von Gedanken gefunden hatte und hier in einer alten Werkstatt besser verstehe, was diese Menschen glauben. Die Geschäftigkeit und Konzentration, die feste Überzeugung, liefert mir diese Ideen, nicht die leeren, wenn auch wunderbar verzierten Räume, die heute ohne Menschen bleiben.
Ich mache einige Fotos und versuche mit einigen der Arbeitern zu sprechen. In solchen Momenten bereue ich meine Entscheidung mich so einem extravaganten und für Interviews und Gespräche vollkommen nutzlosen Guide anvertraut zu haben. Er ist so in seine eigenen Probleme verstrickt, dass er kaum mit anderen Menschen sprechen kann. Halbherzig übersetzt er und wirkt dabei so gelangweilt, dass ich es bald aufgebe und versuche mit Handzeichen zu kommunizieren.
Ich lasse es sein. Anderen Leuten Aufmerksamkeit zu schenken verstört den seltsamen widersprüchlichen Mann, oder doch wieder nicht? Kaum wandern wir die Strasse entlang hilft er ganz natürlich den umstehenden und arbeitenden Menschen. Hebt Dinge auf, die herunterfallen, schiebt einen Karren ein Stück mit – hilfsbereite Handlungen, manchmal ohne irgendwelche weitere Kommunikation, als eine Sache der Selbstverständlichkeit.
Wir gehen in ein Café, zum Abschluss des Tages. Ein Freund von ihm betreibt es. Ein Hippie Café komplett mit psychedelischer Bemalung, silbern glitzernder Shisha und bunten Stühlen. Wir setzen uns zu zwei anderen Männern – einer mit verspiegelter Sonnenbrille, der andere mit einem sichtbaren Tattoo am Arm aber einem ansonsten sehr weichen Auftreten. Noch mehr gescheiterte Lebenskünstler.
Wir unterhalten uns kurz und oberflächlich. Der Mann mit der Sonnenbrille macht eine Reihe von freundlichen aber schlechten Witzen, dann verabschiedet er sich. Der andere Mann bleibt stumm sitzen und klinkt sich aus.
Minztee.
Auszeit.
Es kann sein, dass mein Guide in der Zeit noch dies oder jenes geredet hat, aber ich kann mich nicht erinnern. Marokkos wirksamste Entspannungsdroge kommt in einer Tasse.
Etwas später stoßen zwei tätowierte Touristen auf das selbe Café. Verbissen aussehende Männer Ende Zwanzig, die Arme mit Tattoos von Ankern und Schiffen und Seebräuten verziert, ihre Gesichter und Körper angespannt von universellem Misstrauen. Es sind zwei Norddeutsche, wie ich bald herausfinde.
„Wie läuft eure Reise in Marokko?“
Kurz erstaunt, aber dann beginnen sie zu reden. Sie sind mit den Fahrrädern unterwegs gewesen, bis hinunter in den Süden, entlang der Küste. Die Reise ist gut gewesen, aber sie finden die Leute so schwierige. Du weißt nie wem du vertrauen kannst. Sie waren in einem kleinen Dorf und es war bereits Nacht und hat auch noch heftig geschüttet. Sie waren schon durchnäßt, aber sie haben immer noch handeln müssen, bis sie irgendjemand aufgenommen hat. Und die Fenster waren nur Plastikfolien. Und von der Decke hat es getropft. Und die wollten immer mehr Geld. Für alles. Und das in einem kleinen Dorf.

Sie war gut, Inshallah. In meinem Kopf. Das zwanghafte pedantische Beschweren meiner kulturellen Nachbarn hat mir nicht gefehlt. „Minztee?“

„Ne, jetzt brauch ich mal ne Cola.“

Ich empfehle ihnen meinen Guide, da er sicher bald wieder Geld brauchen wird. Dann wandern wir zurück zu unserem Anfangspunkt, dem kleinen Internetcafe am Rand der Jemaa el Fnaa. Es ist Zeit unser Geschäft abzuschließen.

Was habe ich bekommen? Eine Reise durch ein anderes Marrakesch, etwas mehr und etwas weniger als ich mir erwartet habe. Was möchte ich zahlen? Was er verlangt. Er besitzt nicht viel und ich möchte ihn mit Ehre bezahlen und nicht knausrig handeln, also gebe ich ihm was er möchte. „Das ist weißes Geld, mein Freund. Schau dass du in Zukunft mehr davon machst.“

Er nimmt es. „Inshallah.“
Es ist eine Bestätigung, aber ebenso eine Entschuldigung. Ich wasche meine Hände von aller Verantwortung. Was Allah mir zuwirft…
„Leb wohl.“

„Was machen wir morgen?“
„Morgen?“ Ich lache. „Morgen bin ich in Essaouira.“

Sightseeing mit Dealer Teil 4

Teil 1

Teil 2

Teil 3

 

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Mein Guide ergeht sich weiter in Bestätigungen seiner eigenen künstlerischen Kraft, während ich ihn freundlich ignoriere und fotografiere. Ein junger Mann tritt an mich heran, lächelt und macht mit beiden Händen eine Geste als würde er fotografieren. Er spricht mich auf arabisch an.

Mit einem Mal wird mein Guide zornig. Ein Schwall sicherlich wenig freundlicher arabischer Worte ergießt sich über den jungen Mann. Aufgeweckt von dem Zorn beteiligen sich unerwarteter Weise auch einige der Händler in den umliegenden Geschäften an dem Streit. Hände werden gen Himmel gestreckt, Fäuste geballt, mein Guide keift in alle Richtungen und die Ecke des Soukhs explodiert förmlich in Worten, Gesten und Flüchen.

Auch als wir schon einiges an Metern hinter uns gebracht haben ist mein Guide aufgebracht. „Warum glaubt er, dass er dich belästigen kann? Er sieht, dass du arbeitest, und er kommt und redet solchen Blödsinn. Warum macht er das? Ich könnte…“ Es mangelt ihm definitiv nicht an Einsatz und ich bin so perplex von seinem Ausbruch, dass ich mich selbst bei ihm entschuldige. Das verwirrt ihn und beruhigt ihn erst einmal. „Aber nein, das ist ja nicht dein Fehler.“

Für ein paar Minuten gehen wir etwas planlos durch die Gassen. Der Zorn hat der Verwirrung Platz gemacht. Dann fasst mein Guide einen Entschluss. „Komm.“ Und bevor ich mich versehe biegen wir durch schmale Gassen, bücken uns in höhlenartige Durchgänge zwischen Häusern, die schlagartig so stockdunkel sind, dass man nicht erkennt wohin man den Fuß setzt. Wir halten erst wieder in einem kleinen Innenhof, in dem eine dicke Frau in weiß den Boden fegt und eine andere, ältere die Wäsche von der Leine pflückt. Instinktiv vermeide ich es, die Frauen länger anzusehen – das ist selten eine gute Idee bei dem schlagartigen Temperament der Männer – aber ich kann mir ein Lächeln und Nicken und ein „Salaam Aleikum“ nicht versagen. Er bleibt wortlos, führt mich durch einen Vorhang in einen kleinen Raum, wo wir uns, ebenso wortlos auf eine Teppich am Boden um einen kleinen Tisch setzen.

Er schenkt mir Wasser aus einem Krug ein, den eine der beiden Frauen reicht. Sie sind uns in den Raum gefolgt. Niemand stellt eine Frage oder nimmt es irgendwie als seltsam, dass ich als offensichtlich Fremder hier sitze. Also mache ich mir keine Gedanken. Zwei Kinder tauchen hinter einer Ecke auf und ich bin fast enttäuscht, dass auch sie keine sonderliche Neugier zeigen. Der Bub sieht mich kurz an, spricht dann mit meinem Guide. Die beiden sind sichtlich verwandt. „Der Sohn meiner Schwester.“

Die jüngere Frau, die Schwester meines Guides, bringt uns ein Teller mit gelben Linsen mit Kürbis und dazu gerissenes Fladenbrot. Es ist angenehm hier zu sitzen, die selbstverständliche Gastfreundschaft zu erfahren und zu sehen wie sie keinen Moment hinterfragt wird. Ich kann in solchen Momenten – die man als Reisender immer wieder erfährt – nicht anders als die Situation in meinem Kopf umzudrehen und zu überlegen wie oft ein Fremder in meinem eigenen Land in so einer Situation nur Misstrauen und Unfreundlichkeit erfährt. Es mag sein, dass man sich auf der Strasse mehr ungewohnten Situationen erwehren muss, aber wenn man mit jemandem beim Essen zusammensitzt, erfährt man reine Gastfreundschaft ohne Hintergedanken.

Ich versuche die Familiensituation meines Guides zu erraten. Ist die andere Frau seine Mutter? „Meine Tante.“ Er nimmt noch etwas zu essen, scheint etwas angespannt. Sein Vater kommt aus der westlichen Sahara, so viel weiß ich. Seine Mutter? Verschollen? Irgendetwas arbeitet in ihm, er wirkt verschlossen also frage ich nicht weiter. Der Raum ist simpel, dunkel. Eine Waschstelle im Eck, ein ausgepolsterter Sitzplatz. Der Rest des kleinen verwinkelten Hauses ist mit Tüchern oder Plastikplanen verhängt. Ein Raum für die Frauen und Kinder, einer für meinen Guide? Oder nur ein Raum für alle?

„Iss das.“ Er zeigt auf ein Stück mit Kürbis. Ich sehe er hat Hunger und würde es selbst gerne essen, schiebt es mir aber aufs Teller. „Das sind die besten Stücke. Mehr Brot?“ Ich weiß nicht wie viel die Familie zu essen hat, aber da sie so bereitwillig teilen nehme ich an nicht sehr viel. Die Armen teilen, die Reichen berechnen – soviel habe ich in Marokko schon gelernt.

Wir haben mittlerweile das Teller geleert. Seine Schwester nimmt es wieder mit. Sie scheint zufrieden und verschwindet in einen anderen Raum. Mein Guide bietet mir an, meine Hände an der Spüle zu wachsen.

Wir verlassen das Haus, vorbei an der älteren Frau, die nun mit einem Stück Tuch im Hof sitzt. Keine Spur von den Kindern.

Wieder auf der Strasse mache ich ein Foto von einem Eselkarren. Ein junges Mädchen in Schuluniform ist im Hintergrund. Wir gehen weiter und ihr Blick weckt meine Aufmerksamkeit. „Did you take a photograph of me?“ fragt sie. Der Ton ihrer Stimme ist schwer zu lesen. Sie sieht mich neugierig und fragend an. „No. Of the donkey. Up there.“ „Ah.“

„Was ist das?“ frage ich meinen Guide und zeige in einen Hof, in dem ich ein altes Fahrrad sehen kann, das mich fasziniert.

„Dort sind die Metallarbeiter.“

Sightseeing mit Dealer Teil 2

Teil Eins gibt es hier

 

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 Ich musste also nur warten. Nicht sonderlich lange. Ein Mann sprach mich in einem Internetcafé an. „I have something very good for you. Wait.“ Ein großer, hagerer Kerl in einer dunklen Lederjacke. Sein Haar kurz geschnitten und er trug einen kurz gehaltenen Bart. Seine Augen waren hinter einer großen Sonnebrille kaum zu sehen. Er würde mehr mit mir sprechen, sobald wir beide mit unseren Online Aktivitäten fertig waren.

  Ich weiß noch wie ruhig ich war. Ich wusste wie er sein Spiel beginnen würde und ich würde ihn irgendwann abschneiden und sagen, ich hätte kein Interesse an seinen Drogen aber ich brauche jemanden, der mir hilft, die Stadt und einige ihrer Bewohner zu fotografieren.

  Genauso machte ich es dann. Er überlegte kurz, sagte dann ich solle ihn in zehn Minuten wieder hier – vor dem Internet Café – treffen und er verschwand in der Menge um einen Telefonanruf zu machen. Sein Handy funktioniere nicht, also ging er eine Telefonkarte kaufen.

  Die Sache ist die…es klingt weit zu dramatisch, ihn einen Drogendealer zu nennen. Sein Vater kam aus der Westsahara, dem umkämpften Teil von Marokko. Man nimmt gerne an, wenn jemand ein Teil der kriminellen Welt ist, welche Form die auch immer annimmt, dass er einen bösen oder zumindest betrügerischen Plan hat. Dieser Mann hatte keinen Plan, zumindest keinen auch nur im geringsten bösen.

  „Was willst du denn für deine Hilfe haben?“ hatte ich ihn gefragt, wissend wie wichtig es ist sich vor jeglicher Dienstleistung auf den Preis zu einigen.
  Er blickte zu Boden, fast betreten, und murmelte etwas darüber wie er über alles glücklich sein würde.

  „Was willst du?“ fragte ich noch einmal.

  Schlagartig änderte sich seine Stimmung. Voll Stolz und sogar fast anmaßend sagte er, „Ein Flugticket nach Europa.“

  Ich musste lachen. „Du weißt, dass ich dir kein Flugticket kaufen kann.“ Ich war erstaunt, wie er seinen Traum entblößte, im seltsamen Vertrauen, dass jemand kommen würde ihn zu erfüllen.

  Er kam zurück und zeigte auf einen Mann in einem hellen Hemd. Er winkte ihm und wir schüttelten einander die Hände. Das war der Mann, dem er Rechenschaft schuldete. Er sagte ihm, er würde heute nichts verkaufen, weil er eine andere Arbeit bekommen hatte – mich zu begleiten. Als der Mann gegangen war, sagte er zu mir. „Manchmal, da mache ich schwarzes Geld, heute, da ist es weißes Geld, dank sei Allah.“

  „Du solltest versuchen, mehr weißes Geld zu machen. Meinst du nicht?“

  „Das ist nicht immer möglich.“ Er blickte sich schnell nach allen Seiten um als wir den Rand der Jemaa el Fnaa entlang wanderten. In Marokko gibt es eine spezielle Touristen Polizei, die sicher stellen soll, dass illegale Guides wie er kein Geschäft mit anhnungslosen Touristen machen. Sollten sie ihn erwischen, würde er wohl eine Strafe angehängt bekommen. „Gehen wir hier hinüber – ich kenne dort jemanden. Ein guter Ort.“

  Er klopfte an einer weißen Tür in einer leeren Seitengasse. Irgendetwas war mit einem Stift an die Seite der Tür geschrieben, aber bevor ich es entziffern konnte, machte ein lachender junger Mann die Tür auf und bat uns hinein. Er führte uns in einen bunt eingerichteten Raum mit Polstern auf dem Boden und auf Bänken, die entlang der Wände angeordnet waren. Ein Fernseher stand erhöht in einem Eck, ein Computer in einem anderen. Prospekte lagen auf einem niedrigen Tisch. Ein europäisch aussehender Mann saß auf einem der Polster.

  Mein Guide und der Mann, der uns hereingelassen hatte, verschwanden kurz und ich plauderte mit dem anderen Mann. Ein Kanadier, der nach der offenen, leicht lesbaren Art der Marokkaner unsinnig verschlossen wirkte. Er fragte mich, ob ich auch hier bleiben würde.

  „Was?“

  „Im Guesthouse?“

  „Oh…nein, ich bin nur kurz aus Neugierde hier.“

  Wir reden noch über touristische Dinge, die man in Marrakesch und der unmittelbaren Umgebung machen kann. Er wartet auf Salesh, den Betreiber des Guesthouses, der ihn auf eine Tour mitnimmt. Salesh und mein Guide kommen nach ein paar Minuten wieder zurück.

  „Das sind meine Bilder,“ sagt mein Guide, leicht unsicher, und zeigt auf ein paar Leinwände, die an der Wand hängen und stehen. Neugierig beginne ich sie zu studieren. „Ich bin ein Künstler. Sie stehen zum Verkauf.“

  Wieder beeindruckt mich das Selbstvertrauen des Mannes, denn die Bilder die dort an der Wand gesammelt sind, sind freundlich ausgedrückt so furchtbar, das man einen nach bestimmten Spezifikationen blinden Käufer dafür finden müsste. Mich packt ein seltsames Mitleid für den Mann, als ich eine verwischte Himmel und Meer Studie in Öl näher betrachte. Es mangelt ihm nicht am Wunsch etwas zu erreichen, das ist sicher und das ist auch imponierend, aber die Bilder zu betrachten macht mich einfach nur traurig für ihn.

  Ich sage nicht viel zu den Bildern, da hat er noch eine Idee und nimmt eine lederne Tasche von einem Ständer in der Ecke des Raumes. Er macht auch Taschen aus Leder, gut um Dinge darin zu tragen.

  Ich sehe schön langsam wo das hinführt. Keine heruntergekommenen Opiumschuppen oder geheime Deals, kein Fenster in eine Unterwelt, sondern nur etwas ganz Banales. Aber draußen gibt es eine volle, interessante Welt. „Ich habe kein Interesse irgend etwas zu kaufen, tut mir leid. Gehen wir fotografieren.“

Glühbirnen für den König – eine Parabel aus Marrakesch

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Glühbirnen für den König

Wie man (nicht) von Seiner Majestät in Marrakesch stiehlt…

Salman studiert in Marrakesch an der Fakultät für Literatur. Er hat zwei ältere Brüder. Der eine, der heute als Arzt für die Regierung arbeitet, hat lange Jahre in Saudi Arabien hadiths studiert, also die dem Propheten zugeschriebenen Aussprüche, die einen essentiellen Teil der islamischen Gesetzgebung darstellen. Der andere unterrichtet Philosophie an einer Schule in Marrakesch.

  Der zweite Bruder, der Philosophielehrer, hat einen tiefgreifenden Sinn für praktische Dilemmas. Eines Tages waren die beiden in Hypermarché von Marrakesch um einzukaufen. Es gibt zwei riesige Supermärkte in der Stadt, moderne, westliche Gebilde mit allen möglichen sinnvollen und nutzlosen Dingen. Der kleinere gehört dem Bruder des Königs. Der größere, der gehört natürlich Mohammed 6. höchstpersönlich.

  Salmans Bruder sah ein Regal voller Glühbirnen. Kleine Dinge, kaum teuer. Eine für vielleicht zehn Dirham (einen Euro). „Was denkst du passiert, wenn ich eine von den Glühbirnen stehle?“ fragte er seinen Bruder und steckte sie in seine Tasche. Nur um es auszuprobieren. Es war kein böswillig motivierter Diebstahl, sondern ein philosophisch motivierter. Ein Experiment.

  Die beiden kauften weiter ein. Salmans Bruder wollte seine neue Wohnung einrichten, also kauften die beiden sehr viel. Gut zweitausend Dirham, also ein wirklich stattlicher Betrag. Über die Fragen, was denn alles zu kaufen war, vergaßen die beiden vollkommen, dass in einer der Hemdtaschen noch die Glühbirne steckte.

  Die zahlten, gingen aus dem Hypermarché und als sie ihren Einkauf in ihren Wagen luden, traten prompt zwei Männer an Salmans Bruder heran und baten ihn mit ihnen zu kommen. Salman wartete beim Wagen und fragte sich, was für eine Antwort sein Bruder wohl auf sein Experiment bekommen würde.

  Knapp eine Stunde später kam auch der Bruder wieder aus dem Supermarkt. „Die Reichen,“ so seine Antwort, „die achten sehr sorgsam auf ihren Besitz.“

  Man hatte ihn in einen kleinen Raum geführt, wo der Chef der Supermarktsicherheit auf ihn wartete. Die Glühbirne lag zwischen ihnen auf einem Tisch. Salmans Bruder hatte zu sprechen begonnen. „Ja, ich habe diese Glühbirne gestohlen. Ich übernehme die Verantwortung dafür. Ich wollte wissen, was passiert.“

  „Weißt du, wen du bestohlen hast?“ entgegnete ihm der Sicherheitschef. Er pausierte einen Moment für den dramatischen Effekt, rückte mit seinem Sessel zur Seite und drehte sich halb zur Wand hinter ihm. Dort hang, wie beinahe überall, ein Portrait seiner Majestät.

  „Ich habe in diesem Supermarkt für gut zweitausend Dirham eingekauft,“ sagte Salmans Bruder. „Diese Glühbirne, wie viel kostet sie? Zehn Dirham.“ Auf dem Markt in der Medina hätte ihm jeder Händler diese Glühbirne und wohl noch mehr geschenkt, wenn er für so einen Betrag eingekauft hätte.

  Er traf nur auf den kalten, überheblichen Blick des Sicherheitschefs. Du gehörst dem König, sagte dieser Blick. Du gehörst uns. „Die Strafe für Diebstahl beträgt dreihundert Dirham.“

  So einfach hatte sich eine Glühbirne um zehn Dirham in eine um dreihundert Dirham verwandelt. Die Glühbirnen des Königs müssen schließlich einen königlichen Preis haben. Salmans Bruder hatte das Resultat seines Experimentes bekommen. „Die Reichen, die achten wirklich sehr sorgsam auf ihren Besitz.“

Sightseeing mit Dealer Teil 1

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  In Marrakesch kann man in ein Schuhgeschäft gehen und mit einem Angebot für ein Motorrad, vier Leuten, die einem die Stadt zeigen, einem Sack voll Kiff in der Tasche und fünfzehn Gläsern Minztee im Bauch wieder auf die Strasse kommen. Ob man die Schuhe auch dabei hat, die man ursprünglich wollte, ist eine andere Frage.

  Es ist ein Ort wo Unerwartetes normal ist, Normales außergewöhnlich und die Wahrheit knet-, dehn- und formbar ist. Auf der Suche nach einem normalen Gespräch findet man sich oft in der Rolle von Brian aus Das Leben des Brian, der sich verzweifelt gegen den Kauf einer Kalebasse wehren muss.

  Die meisten Menschen sind sehr persönlich und emotional in ihrem Handel, ihren Ausdrücken. Sehr unmittelbar. Ein feundlicher Berber gibt mir nach kurzem Gespräch eine kleine Blume, die er in der Hand hält. Ein Lastenträger, der mich im Vorbeigehen nach einer Zigarette fragt, starrt mich für ein paar Momente mit unverhohlenem Hass an, als ich sage ich rauche nicht und ihm keine Münze für eine Zigarette geben will. Ein Händler scheint am Rand von Tränen, weil ich in seinem Geschäft kein Interesse an der Ware zeige.

  Alles ist Gelegenheit für Handel, denn der Handel ist das Herzblut des Stadt. Du bist nicht bereit zu handeln? Dann bist du geizig oder selbstsüchtig. Ein Urteil hier ist schnell gefällt und, wenn man an den falschen gerät, wird es leicht vom unsichtbaren Netz der Flüsterer durch die Stadt getragen. Eine unbedachte Bemerkung kann einen heftigen Streit auslösen. Aber ebenso schnell ist das Urteil vergessen, denn der Tee ist fertig. Mit einem rostigen Taschenmesser schneidet man Stücke von einem Ziegel Zucker und drückt sie in die Mischung aus Minze und Grüntee. Der Dampf und der Geruch vertreiben böse Gedanken und die Streitenden sitzen beisammen.

  Klügere Köpfe streiten nicht, aber klügere Köpfe müssen sich selten um ihr täglich Brot auf der Strasse bemühen. Mein Interesse war es, die Strassen von Marrakesh mit jemandem zu sehen, der sie unmittelbar kennt.

  Etwas, mit dem sich jeder Einzelreisende in Marokko tagaus und tagein konfrontiert sieht, sind die Haschischhändler. „My friend.“ „You want some good stuff?“ „I have something for you.“ „Do you smoke?“ „Kiff Kiff.“ Manche sprechen bis auf diese Phrasen kaum Englisch, aber zumindest die kennen sie dank der permanenten Wiederholung.

  Man findet sie überall und an schlechten Tagen scheint es, als wäre die halbe Stadt voll von ihnen. Kiff ist das Hauptexportprodukt des Landes und obwohl es offiziell illegal ist, ist der Gebrauch immens verbreitet. Ein Freund von mir, der per Autostopp durch das Land gereist ist, wurde beispielsweise von einem Polizisten außer Dienst mitgenommen, der komplett bekifft gefahren ist und dabei bestimmt vom schlechten Gewissen verschont geblieben ist. Kiff an Touristen verkaufen ist ein rentables Geschäft für viele der jungen Männer, die von außerhalb nach Marrakesh kommen oder in den schäbigeren Bezirken der Stadt aufwachsen. Viele Leute kommen hauptsächlich deswegen in das Land – mein eigenes Interesse ist etwas breiter gestreut…

  Marrakesch ist keine arme Stadt. Sie ist unterteilt in den modernen und den alten Teil der Stadt. Der moderne Teil ist der, den Touristen gerne ignorieren, oder höchstens mit betretener Überraschung wahrnehmen. Der moderne Bahnhof, das ewig unfertige Theatre Royal, Coffeeshops, gläserne Geschäfte, Regierungsgebäude und dazwischen Reihenhäuser für Studenten und Familien…eine moderne Stadt, eben. Der alte Teil ist der historische Kern, der die Touristen anzieht – die Jemaa el Fnaa, die überdachten Soukhs, noble Riads in verwinkelten Gassen – aber auch die ärmeren Bezirke der Arbeiter und Arbeitslosen, die Mellah und ihre verborgenen Hinterhöfe und niedrigen Gassen.

  Ich spielte mich mit verschiedenen Gedanken. Fotografie war eine Herausforderung, nachdem die meisten Menschen stumm wurden und nicht mehr mit mir sprachen, wenn ich sie fragte ob ich ein Foto von ihnen machen dürfte…wenn mir jemand helfen könnte, der Arabisch sprach, wäre zumindest die Kommunikation einfacher und man könnte vermitteln, was man denn machen will. Da war auch noch der Wunsch, die Stadt mit jemandem zu erleben, der sie auf eine unmittelbare Art und Weise kannte. Außerdem stand mir der Sinn einfach nach einem kleinen Abenteuer, bei dem ich den Ausgang nicht ganz vorhersehen konnte.

  Einen Dealer zu bitten, mich durch die Stadt zu führen und mir bei meinen Fotos behilflich zu sein, erschien mir nach diesen Gesichtspunkten als eine interessante Idee…