Sightseeing mit Dealer Teil 5

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Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

 

Metallarbeiter in manchen Höfen und Gerber in anderen, wie sich herausstellt. Wir sind jetzt in den alten Arbeiterbezirken der Stadt, die an den Soukhs angrenzen und wo alles hergestellt wird, was dann glitzernd, funkelnd und bemalt in den Läden steht.
Die Arbeiter leben oft in diesen Höfen, angrenzend an ihre Werkstätten. Hier findet man nicht die Graveure, die islamische und westliche Schriftzeichen in ihren kleinen Läden für ein paar Dirham gravieren, sondern diese Männer produzieren Lampen, Schmuckwerk aus Metall, mit sorgfältig gestanzten Dekorationen und Verzierungen. Automatisierung sucht man hier vergebens. Die Männer schlagen die Löcher mit Hammer und Meißel, biegen das Kupfer mit Zangen.
Hier herrscht Konzentration. Schleifsteine drehen sich und Funken sprühen. Im oberen Stock – der Hof ist im arabischen Stil angelegt, in dem alle Fenster und in diesem Fall auch Türen nach innen auf ebendiesen Hof zeigen – spannen zwei ältere Männer Ziegenfelle zum Trocknen auf.
Türen öffnen und schließen sich, Gestalten huschen mal hierhin, mal dorthin. Es geht um stille Geschäftigkeit und der Hof wirkt alt mit halbverfallenem Mauerwerk und verblassenden, absplitternden Holztüren und Fenstern. Wie das Fahrrad, das verwittert und rostig aussieht, aber immer noch verwendet wird, hat auch dieser Ort ein Gefühl von Alter, Verfall und Zeitlosigkeit. Diese Männer sind ihre eigenen Väter und Großväter, machen genau die selben Handlungen, denken die selben Gedanken wie ihre Vorfahren.
Gewand ändert sich, was man in den Taschen trägt, was man im Kopf trägt, aber das Blut bleibt das Gleiche, zumindest für diese Männer. An so einem Ort verstehe ich die Stadt als einen riesige, organische Fabrik, wo Menschen hämmern, schleppen, verkaufen und kaufen. Das Gebet und das Gespräch, beides Möglichkeiten – für Ruhe oder für mehr Handel – sind ein Weg aus der nicht endenden Geschäftigkeit.
Es ist trügerisch zu glauben, dass irgendjemand hier faul ist. Gott treibt diese Menschen, der Gedanke einer sinnlichen Welt, in der manche zur Arbeit verdammt sind um dann im Paradies ihren gerechten Lohn zu bekommen. Wie streng die Regeln sind, aber wie verführerisch sie zu brechen, immer wieder oder sie zu verstehen, das Leben als Gesetz zu sehen, wie es im Qu’ran steht, dessen Zeilen von der Welt geflüstert werden.
Seltsam, dass ich die Räume der Medrasse Ben Yousseff schön aber leer von Gedanken gefunden hatte und hier in einer alten Werkstatt besser verstehe, was diese Menschen glauben. Die Geschäftigkeit und Konzentration, die feste Überzeugung, liefert mir diese Ideen, nicht die leeren, wenn auch wunderbar verzierten Räume, die heute ohne Menschen bleiben.
Ich mache einige Fotos und versuche mit einigen der Arbeitern zu sprechen. In solchen Momenten bereue ich meine Entscheidung mich so einem extravaganten und für Interviews und Gespräche vollkommen nutzlosen Guide anvertraut zu haben. Er ist so in seine eigenen Probleme verstrickt, dass er kaum mit anderen Menschen sprechen kann. Halbherzig übersetzt er und wirkt dabei so gelangweilt, dass ich es bald aufgebe und versuche mit Handzeichen zu kommunizieren.
Ich lasse es sein. Anderen Leuten Aufmerksamkeit zu schenken verstört den seltsamen widersprüchlichen Mann, oder doch wieder nicht? Kaum wandern wir die Strasse entlang hilft er ganz natürlich den umstehenden und arbeitenden Menschen. Hebt Dinge auf, die herunterfallen, schiebt einen Karren ein Stück mit – hilfsbereite Handlungen, manchmal ohne irgendwelche weitere Kommunikation, als eine Sache der Selbstverständlichkeit.
Wir gehen in ein Café, zum Abschluss des Tages. Ein Freund von ihm betreibt es. Ein Hippie Café komplett mit psychedelischer Bemalung, silbern glitzernder Shisha und bunten Stühlen. Wir setzen uns zu zwei anderen Männern – einer mit verspiegelter Sonnenbrille, der andere mit einem sichtbaren Tattoo am Arm aber einem ansonsten sehr weichen Auftreten. Noch mehr gescheiterte Lebenskünstler.
Wir unterhalten uns kurz und oberflächlich. Der Mann mit der Sonnenbrille macht eine Reihe von freundlichen aber schlechten Witzen, dann verabschiedet er sich. Der andere Mann bleibt stumm sitzen und klinkt sich aus.
Minztee.
Auszeit.
Es kann sein, dass mein Guide in der Zeit noch dies oder jenes geredet hat, aber ich kann mich nicht erinnern. Marokkos wirksamste Entspannungsdroge kommt in einer Tasse.
Etwas später stoßen zwei tätowierte Touristen auf das selbe Café. Verbissen aussehende Männer Ende Zwanzig, die Arme mit Tattoos von Ankern und Schiffen und Seebräuten verziert, ihre Gesichter und Körper angespannt von universellem Misstrauen. Es sind zwei Norddeutsche, wie ich bald herausfinde.
„Wie läuft eure Reise in Marokko?“
Kurz erstaunt, aber dann beginnen sie zu reden. Sie sind mit den Fahrrädern unterwegs gewesen, bis hinunter in den Süden, entlang der Küste. Die Reise ist gut gewesen, aber sie finden die Leute so schwierige. Du weißt nie wem du vertrauen kannst. Sie waren in einem kleinen Dorf und es war bereits Nacht und hat auch noch heftig geschüttet. Sie waren schon durchnäßt, aber sie haben immer noch handeln müssen, bis sie irgendjemand aufgenommen hat. Und die Fenster waren nur Plastikfolien. Und von der Decke hat es getropft. Und die wollten immer mehr Geld. Für alles. Und das in einem kleinen Dorf.

Sie war gut, Inshallah. In meinem Kopf. Das zwanghafte pedantische Beschweren meiner kulturellen Nachbarn hat mir nicht gefehlt. „Minztee?“

„Ne, jetzt brauch ich mal ne Cola.“

Ich empfehle ihnen meinen Guide, da er sicher bald wieder Geld brauchen wird. Dann wandern wir zurück zu unserem Anfangspunkt, dem kleinen Internetcafe am Rand der Jemaa el Fnaa. Es ist Zeit unser Geschäft abzuschließen.

Was habe ich bekommen? Eine Reise durch ein anderes Marrakesch, etwas mehr und etwas weniger als ich mir erwartet habe. Was möchte ich zahlen? Was er verlangt. Er besitzt nicht viel und ich möchte ihn mit Ehre bezahlen und nicht knausrig handeln, also gebe ich ihm was er möchte. „Das ist weißes Geld, mein Freund. Schau dass du in Zukunft mehr davon machst.“

Er nimmt es. „Inshallah.“
Es ist eine Bestätigung, aber ebenso eine Entschuldigung. Ich wasche meine Hände von aller Verantwortung. Was Allah mir zuwirft…
„Leb wohl.“

„Was machen wir morgen?“
„Morgen?“ Ich lache. „Morgen bin ich in Essaouira.“

Sightseeing mit Dealer Teil 4

Teil 1

Teil 2

Teil 3

 

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Mein Guide ergeht sich weiter in Bestätigungen seiner eigenen künstlerischen Kraft, während ich ihn freundlich ignoriere und fotografiere. Ein junger Mann tritt an mich heran, lächelt und macht mit beiden Händen eine Geste als würde er fotografieren. Er spricht mich auf arabisch an.

Mit einem Mal wird mein Guide zornig. Ein Schwall sicherlich wenig freundlicher arabischer Worte ergießt sich über den jungen Mann. Aufgeweckt von dem Zorn beteiligen sich unerwarteter Weise auch einige der Händler in den umliegenden Geschäften an dem Streit. Hände werden gen Himmel gestreckt, Fäuste geballt, mein Guide keift in alle Richtungen und die Ecke des Soukhs explodiert förmlich in Worten, Gesten und Flüchen.

Auch als wir schon einiges an Metern hinter uns gebracht haben ist mein Guide aufgebracht. „Warum glaubt er, dass er dich belästigen kann? Er sieht, dass du arbeitest, und er kommt und redet solchen Blödsinn. Warum macht er das? Ich könnte…“ Es mangelt ihm definitiv nicht an Einsatz und ich bin so perplex von seinem Ausbruch, dass ich mich selbst bei ihm entschuldige. Das verwirrt ihn und beruhigt ihn erst einmal. „Aber nein, das ist ja nicht dein Fehler.“

Für ein paar Minuten gehen wir etwas planlos durch die Gassen. Der Zorn hat der Verwirrung Platz gemacht. Dann fasst mein Guide einen Entschluss. „Komm.“ Und bevor ich mich versehe biegen wir durch schmale Gassen, bücken uns in höhlenartige Durchgänge zwischen Häusern, die schlagartig so stockdunkel sind, dass man nicht erkennt wohin man den Fuß setzt. Wir halten erst wieder in einem kleinen Innenhof, in dem eine dicke Frau in weiß den Boden fegt und eine andere, ältere die Wäsche von der Leine pflückt. Instinktiv vermeide ich es, die Frauen länger anzusehen – das ist selten eine gute Idee bei dem schlagartigen Temperament der Männer – aber ich kann mir ein Lächeln und Nicken und ein „Salaam Aleikum“ nicht versagen. Er bleibt wortlos, führt mich durch einen Vorhang in einen kleinen Raum, wo wir uns, ebenso wortlos auf eine Teppich am Boden um einen kleinen Tisch setzen.

Er schenkt mir Wasser aus einem Krug ein, den eine der beiden Frauen reicht. Sie sind uns in den Raum gefolgt. Niemand stellt eine Frage oder nimmt es irgendwie als seltsam, dass ich als offensichtlich Fremder hier sitze. Also mache ich mir keine Gedanken. Zwei Kinder tauchen hinter einer Ecke auf und ich bin fast enttäuscht, dass auch sie keine sonderliche Neugier zeigen. Der Bub sieht mich kurz an, spricht dann mit meinem Guide. Die beiden sind sichtlich verwandt. „Der Sohn meiner Schwester.“

Die jüngere Frau, die Schwester meines Guides, bringt uns ein Teller mit gelben Linsen mit Kürbis und dazu gerissenes Fladenbrot. Es ist angenehm hier zu sitzen, die selbstverständliche Gastfreundschaft zu erfahren und zu sehen wie sie keinen Moment hinterfragt wird. Ich kann in solchen Momenten – die man als Reisender immer wieder erfährt – nicht anders als die Situation in meinem Kopf umzudrehen und zu überlegen wie oft ein Fremder in meinem eigenen Land in so einer Situation nur Misstrauen und Unfreundlichkeit erfährt. Es mag sein, dass man sich auf der Strasse mehr ungewohnten Situationen erwehren muss, aber wenn man mit jemandem beim Essen zusammensitzt, erfährt man reine Gastfreundschaft ohne Hintergedanken.

Ich versuche die Familiensituation meines Guides zu erraten. Ist die andere Frau seine Mutter? „Meine Tante.“ Er nimmt noch etwas zu essen, scheint etwas angespannt. Sein Vater kommt aus der westlichen Sahara, so viel weiß ich. Seine Mutter? Verschollen? Irgendetwas arbeitet in ihm, er wirkt verschlossen also frage ich nicht weiter. Der Raum ist simpel, dunkel. Eine Waschstelle im Eck, ein ausgepolsterter Sitzplatz. Der Rest des kleinen verwinkelten Hauses ist mit Tüchern oder Plastikplanen verhängt. Ein Raum für die Frauen und Kinder, einer für meinen Guide? Oder nur ein Raum für alle?

„Iss das.“ Er zeigt auf ein Stück mit Kürbis. Ich sehe er hat Hunger und würde es selbst gerne essen, schiebt es mir aber aufs Teller. „Das sind die besten Stücke. Mehr Brot?“ Ich weiß nicht wie viel die Familie zu essen hat, aber da sie so bereitwillig teilen nehme ich an nicht sehr viel. Die Armen teilen, die Reichen berechnen – soviel habe ich in Marokko schon gelernt.

Wir haben mittlerweile das Teller geleert. Seine Schwester nimmt es wieder mit. Sie scheint zufrieden und verschwindet in einen anderen Raum. Mein Guide bietet mir an, meine Hände an der Spüle zu wachsen.

Wir verlassen das Haus, vorbei an der älteren Frau, die nun mit einem Stück Tuch im Hof sitzt. Keine Spur von den Kindern.

Wieder auf der Strasse mache ich ein Foto von einem Eselkarren. Ein junges Mädchen in Schuluniform ist im Hintergrund. Wir gehen weiter und ihr Blick weckt meine Aufmerksamkeit. „Did you take a photograph of me?“ fragt sie. Der Ton ihrer Stimme ist schwer zu lesen. Sie sieht mich neugierig und fragend an. „No. Of the donkey. Up there.“ „Ah.“

„Was ist das?“ frage ich meinen Guide und zeige in einen Hof, in dem ich ein altes Fahrrad sehen kann, das mich fasziniert.

„Dort sind die Metallarbeiter.“

Sightseeing mit Dealer Teil 3

Teil 1

Teil 2

 

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Zuerst allerdings sehe ich eine dunklere Seite meines Guides. Er scheint das alles ernst zu nehmen, sich tatsächlich für einen Künstler zu halten und so verfällt er für die nächsten fünf Minuten in eine bitterlich schwarze Depression. Irgendwann schaffe ich es ihn mit teilnahmvollem Nicken zu überzeugen, dass die Leute schlußendlich sein Genie entdecken werden und dass es (vor allem dort draußen) Licht und Freude gibt und wir machen uns endlich auf den Weg.

Seine wiedergefundene Fantasie beweist er dann dadurch, dass er mich auf eine Tour durch alle Läden seiner Freunde nehmen will…ich überlege mir schon ernsthaft, ihn einfach dort stehen zu lassen, aber diese offensichtliche Zerbrechlichkeit fasziniert mich. Er bemerkt meinen Unwillen und schlägt vor, dass wir eine Art Deal eingehen – er wird mich nicht belästigen irgendetwas zu kaufen und seinen Freunden sagen, dass ich nur fotografieren will und immerhin kann ich dann ein paar Verbindungen machen – vielleicht will ich ja irgendwann einmal einen Teppich oder ein Musikinstrument und dann weiß ich schon wohin ich gehen muss.

Also, fein, wir machen uns also daran die Läden abzuklappern. Der erste verkauft Musikinstrumente und sitzt entspannt und mit einer Gitarre im Schoß auf einem Polster inmitten von hunderten hölzernen Instrumenten. Er spielt aber nicht. Ein anderer Mann, sein Bruder, sitzt neben ihm und stimmt eine Trommel. Die beiden sprechen Englisch. Sie haben den Laden schon seit zwei Generationen und ja, das Geschäft läuft so so, inshallah wird alles gut. Er ist deutlich zu entspannt um sich in irgendeiner Weise darum zu kümmern, was ich von ihm will oder sich eine interessante Geschichte zu überlegen, also bedanke ich mich, mache ein Foto und weiter geht es.

Der nächste ist ein junger, energischer Mann, der uns mit einem engagierten Lachen empfängt. Um ganz ehrlich zu sein, ich habe vergessen, was er verkauft hat…irgendwelches Holzwerk, glaube ich, aber er schien mehr an sich selbst als an seiner Ware interessiert und posierte begeistert für ein oder zwei Fotos. Als Teil des Plans meines Guides sammle ich außer Fotos auch noch Visitenkarten – seine ist mit besonderer Aufmerksamkeit gestaltet.

Auf dem Weg durch die verwinkelten Gassen des Soukhs stoppen wir für einen Kaffee. Stilechten marokkanischen Nescafé, der von einem freundlichen alten Mann mit einem Handkarren gemacht wird. Mein Guide stellt sich kurz hinter den Wagen und macht den zweiten Nescafé selbst. Jetzt ist er wieder großspurig und guter Laune. „Die anderen wollen nicht für Fotos posieren?“ Wir hatten vorher einige Probleme einen Mann aufs Foto zu bekommen, sei es dass er einfach scheu war oder dass es irgendetwas mit der konservativen islamischen Sicht auf das Bildermachen zu tun hat. „Ha, ich posiere. Ich habe kein Problem damit. Alles Aberglaube.“

So posiert er also. Mit einem Straßenschild. Mit Sonnenbrille. Dann ohne. Weiter geht es, tiefer in die Soukhs. Der Kaffee hat meinem Guide zu gut getan. Jetzt gibt er mir Anweisungen was und wie ich fotografieren muss. „Ich weiß, wie man Bilder macht. Ich bin ein Künstler.“ Kleines, trotziges Kind wohl eher, aber es amüsiert mich ihm aufmerksam zuzuhören und dann etwas ganz anderes zu machen. Er bemerkt es nicht.

Mittlerweile, wohl eher durch ein Versehen, sind wir im Arbeiterviertel gelandet. Das fasziniert mich…kleine schmutzige Küchen, in denen Eier und Huhn gekocht und gebraten werden und vor denen kleine, massige Männer stumm anstehen. Frauen in wehenden Gewändern, die Körbe mit Einkauf nachhause tragen. Knäuel an Kindern, die auf dem Weg von der Schule zuerst an einem, dann am nächsten interessanten Eck stehenbleiben und wild und lachend debattieren oder einfach neugierig oder spöttisch schauen.

Wir stoppen an einem kleinen Geschäft am Eck einer beleben Strasse. Holzskulpturen, farbig bemalt, verzieren es von außen. Buntes Holz, Stühle, Spielschachteln und dergleichen quellen fast heraus auf die Straße. Es ist das erste Geschäft, das unter all diesen ewig ähnlichen Geschäften wirklichen Charakter hat.

Der Besitzer ist ein sympathischer Berber mit einem beständig leicht perplexen Ausdruck. Er zeigt mir mit der Fingerfertigkeit eines Bühnenmagiers eine seiner Arbeiten – eine kleine Box aus hellem Holz mit dunklen Intarsien. Ganz normal, nicht? Nein…hier! Ein geheimes Fach. Er faltet die Schachtel zwischen seinen Fingern als wäre sie aus Papier und öffnet ein bislang unsichtbares Fach, leert alle unsichtbaren Geheimnisse in seine und dann meine Handfläche, schließt es wieder und gibt mir die Box. Öffne sie. Kein Fach. Willst du einen Schlüssel verstecken? Bestes Versteck.

Wir sprechen auf Französich miteinander. Mein Guide entschuldigt sich mittlerweile – er hat einen alten Bekannten getroffen und die beiden gehen in das Haus gegenüber für ein kurzes Gespräch. Ich hatte nich geplant etwas zu kaufen, habe nicht einmal Geld in meiner Tasche, aber der Berber ist ein netter Mann und ich schaue kurz durch sein Geschäft und überlege, ob ich hier etwas als Geschenk kaufen soll. Er sieht meine Neugier natürlich und will mir sofort etwas in die Hand drücken.

Nein, ich habe kein Geld. Ich komme morgen zurück.

Oh. Alle Enttäuschung der Welt in seinem Gesicht. Morgen, morgen ist er nicht hier. Das Geschäft ist geschlossen, er geht zurück zu seinen Verwandten, hinaus aus Marrakesch.

Wann kommt er denn zurück?

Er weiß es nicht. Wann immer das Geschäft wieder gut geht.

Die weitschweifende Theatralik gefällt mir, aber ich habe wirklich kein Geld. Er winkt mich mit einer abschätzigen Bewegung davon. Ich überlege mir noch eine Antwort, da kommt allerdings mein Guide zurück und wir gehen weiter in die Soukhs.

Sightseeing mit Dealer Teil 2

Teil Eins gibt es hier

 

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 Ich musste also nur warten. Nicht sonderlich lange. Ein Mann sprach mich in einem Internetcafé an. „I have something very good for you. Wait.“ Ein großer, hagerer Kerl in einer dunklen Lederjacke. Sein Haar kurz geschnitten und er trug einen kurz gehaltenen Bart. Seine Augen waren hinter einer großen Sonnebrille kaum zu sehen. Er würde mehr mit mir sprechen, sobald wir beide mit unseren Online Aktivitäten fertig waren.

  Ich weiß noch wie ruhig ich war. Ich wusste wie er sein Spiel beginnen würde und ich würde ihn irgendwann abschneiden und sagen, ich hätte kein Interesse an seinen Drogen aber ich brauche jemanden, der mir hilft, die Stadt und einige ihrer Bewohner zu fotografieren.

  Genauso machte ich es dann. Er überlegte kurz, sagte dann ich solle ihn in zehn Minuten wieder hier – vor dem Internet Café – treffen und er verschwand in der Menge um einen Telefonanruf zu machen. Sein Handy funktioniere nicht, also ging er eine Telefonkarte kaufen.

  Die Sache ist die…es klingt weit zu dramatisch, ihn einen Drogendealer zu nennen. Sein Vater kam aus der Westsahara, dem umkämpften Teil von Marokko. Man nimmt gerne an, wenn jemand ein Teil der kriminellen Welt ist, welche Form die auch immer annimmt, dass er einen bösen oder zumindest betrügerischen Plan hat. Dieser Mann hatte keinen Plan, zumindest keinen auch nur im geringsten bösen.

  „Was willst du denn für deine Hilfe haben?“ hatte ich ihn gefragt, wissend wie wichtig es ist sich vor jeglicher Dienstleistung auf den Preis zu einigen.
  Er blickte zu Boden, fast betreten, und murmelte etwas darüber wie er über alles glücklich sein würde.

  „Was willst du?“ fragte ich noch einmal.

  Schlagartig änderte sich seine Stimmung. Voll Stolz und sogar fast anmaßend sagte er, „Ein Flugticket nach Europa.“

  Ich musste lachen. „Du weißt, dass ich dir kein Flugticket kaufen kann.“ Ich war erstaunt, wie er seinen Traum entblößte, im seltsamen Vertrauen, dass jemand kommen würde ihn zu erfüllen.

  Er kam zurück und zeigte auf einen Mann in einem hellen Hemd. Er winkte ihm und wir schüttelten einander die Hände. Das war der Mann, dem er Rechenschaft schuldete. Er sagte ihm, er würde heute nichts verkaufen, weil er eine andere Arbeit bekommen hatte – mich zu begleiten. Als der Mann gegangen war, sagte er zu mir. „Manchmal, da mache ich schwarzes Geld, heute, da ist es weißes Geld, dank sei Allah.“

  „Du solltest versuchen, mehr weißes Geld zu machen. Meinst du nicht?“

  „Das ist nicht immer möglich.“ Er blickte sich schnell nach allen Seiten um als wir den Rand der Jemaa el Fnaa entlang wanderten. In Marokko gibt es eine spezielle Touristen Polizei, die sicher stellen soll, dass illegale Guides wie er kein Geschäft mit anhnungslosen Touristen machen. Sollten sie ihn erwischen, würde er wohl eine Strafe angehängt bekommen. „Gehen wir hier hinüber – ich kenne dort jemanden. Ein guter Ort.“

  Er klopfte an einer weißen Tür in einer leeren Seitengasse. Irgendetwas war mit einem Stift an die Seite der Tür geschrieben, aber bevor ich es entziffern konnte, machte ein lachender junger Mann die Tür auf und bat uns hinein. Er führte uns in einen bunt eingerichteten Raum mit Polstern auf dem Boden und auf Bänken, die entlang der Wände angeordnet waren. Ein Fernseher stand erhöht in einem Eck, ein Computer in einem anderen. Prospekte lagen auf einem niedrigen Tisch. Ein europäisch aussehender Mann saß auf einem der Polster.

  Mein Guide und der Mann, der uns hereingelassen hatte, verschwanden kurz und ich plauderte mit dem anderen Mann. Ein Kanadier, der nach der offenen, leicht lesbaren Art der Marokkaner unsinnig verschlossen wirkte. Er fragte mich, ob ich auch hier bleiben würde.

  „Was?“

  „Im Guesthouse?“

  „Oh…nein, ich bin nur kurz aus Neugierde hier.“

  Wir reden noch über touristische Dinge, die man in Marrakesch und der unmittelbaren Umgebung machen kann. Er wartet auf Salesh, den Betreiber des Guesthouses, der ihn auf eine Tour mitnimmt. Salesh und mein Guide kommen nach ein paar Minuten wieder zurück.

  „Das sind meine Bilder,“ sagt mein Guide, leicht unsicher, und zeigt auf ein paar Leinwände, die an der Wand hängen und stehen. Neugierig beginne ich sie zu studieren. „Ich bin ein Künstler. Sie stehen zum Verkauf.“

  Wieder beeindruckt mich das Selbstvertrauen des Mannes, denn die Bilder die dort an der Wand gesammelt sind, sind freundlich ausgedrückt so furchtbar, das man einen nach bestimmten Spezifikationen blinden Käufer dafür finden müsste. Mich packt ein seltsames Mitleid für den Mann, als ich eine verwischte Himmel und Meer Studie in Öl näher betrachte. Es mangelt ihm nicht am Wunsch etwas zu erreichen, das ist sicher und das ist auch imponierend, aber die Bilder zu betrachten macht mich einfach nur traurig für ihn.

  Ich sage nicht viel zu den Bildern, da hat er noch eine Idee und nimmt eine lederne Tasche von einem Ständer in der Ecke des Raumes. Er macht auch Taschen aus Leder, gut um Dinge darin zu tragen.

  Ich sehe schön langsam wo das hinführt. Keine heruntergekommenen Opiumschuppen oder geheime Deals, kein Fenster in eine Unterwelt, sondern nur etwas ganz Banales. Aber draußen gibt es eine volle, interessante Welt. „Ich habe kein Interesse irgend etwas zu kaufen, tut mir leid. Gehen wir fotografieren.“

Sightseeing mit Dealer Teil 1

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  In Marrakesch kann man in ein Schuhgeschäft gehen und mit einem Angebot für ein Motorrad, vier Leuten, die einem die Stadt zeigen, einem Sack voll Kiff in der Tasche und fünfzehn Gläsern Minztee im Bauch wieder auf die Strasse kommen. Ob man die Schuhe auch dabei hat, die man ursprünglich wollte, ist eine andere Frage.

  Es ist ein Ort wo Unerwartetes normal ist, Normales außergewöhnlich und die Wahrheit knet-, dehn- und formbar ist. Auf der Suche nach einem normalen Gespräch findet man sich oft in der Rolle von Brian aus Das Leben des Brian, der sich verzweifelt gegen den Kauf einer Kalebasse wehren muss.

  Die meisten Menschen sind sehr persönlich und emotional in ihrem Handel, ihren Ausdrücken. Sehr unmittelbar. Ein feundlicher Berber gibt mir nach kurzem Gespräch eine kleine Blume, die er in der Hand hält. Ein Lastenträger, der mich im Vorbeigehen nach einer Zigarette fragt, starrt mich für ein paar Momente mit unverhohlenem Hass an, als ich sage ich rauche nicht und ihm keine Münze für eine Zigarette geben will. Ein Händler scheint am Rand von Tränen, weil ich in seinem Geschäft kein Interesse an der Ware zeige.

  Alles ist Gelegenheit für Handel, denn der Handel ist das Herzblut des Stadt. Du bist nicht bereit zu handeln? Dann bist du geizig oder selbstsüchtig. Ein Urteil hier ist schnell gefällt und, wenn man an den falschen gerät, wird es leicht vom unsichtbaren Netz der Flüsterer durch die Stadt getragen. Eine unbedachte Bemerkung kann einen heftigen Streit auslösen. Aber ebenso schnell ist das Urteil vergessen, denn der Tee ist fertig. Mit einem rostigen Taschenmesser schneidet man Stücke von einem Ziegel Zucker und drückt sie in die Mischung aus Minze und Grüntee. Der Dampf und der Geruch vertreiben böse Gedanken und die Streitenden sitzen beisammen.

  Klügere Köpfe streiten nicht, aber klügere Köpfe müssen sich selten um ihr täglich Brot auf der Strasse bemühen. Mein Interesse war es, die Strassen von Marrakesh mit jemandem zu sehen, der sie unmittelbar kennt.

  Etwas, mit dem sich jeder Einzelreisende in Marokko tagaus und tagein konfrontiert sieht, sind die Haschischhändler. „My friend.“ „You want some good stuff?“ „I have something for you.“ „Do you smoke?“ „Kiff Kiff.“ Manche sprechen bis auf diese Phrasen kaum Englisch, aber zumindest die kennen sie dank der permanenten Wiederholung.

  Man findet sie überall und an schlechten Tagen scheint es, als wäre die halbe Stadt voll von ihnen. Kiff ist das Hauptexportprodukt des Landes und obwohl es offiziell illegal ist, ist der Gebrauch immens verbreitet. Ein Freund von mir, der per Autostopp durch das Land gereist ist, wurde beispielsweise von einem Polizisten außer Dienst mitgenommen, der komplett bekifft gefahren ist und dabei bestimmt vom schlechten Gewissen verschont geblieben ist. Kiff an Touristen verkaufen ist ein rentables Geschäft für viele der jungen Männer, die von außerhalb nach Marrakesh kommen oder in den schäbigeren Bezirken der Stadt aufwachsen. Viele Leute kommen hauptsächlich deswegen in das Land – mein eigenes Interesse ist etwas breiter gestreut…

  Marrakesch ist keine arme Stadt. Sie ist unterteilt in den modernen und den alten Teil der Stadt. Der moderne Teil ist der, den Touristen gerne ignorieren, oder höchstens mit betretener Überraschung wahrnehmen. Der moderne Bahnhof, das ewig unfertige Theatre Royal, Coffeeshops, gläserne Geschäfte, Regierungsgebäude und dazwischen Reihenhäuser für Studenten und Familien…eine moderne Stadt, eben. Der alte Teil ist der historische Kern, der die Touristen anzieht – die Jemaa el Fnaa, die überdachten Soukhs, noble Riads in verwinkelten Gassen – aber auch die ärmeren Bezirke der Arbeiter und Arbeitslosen, die Mellah und ihre verborgenen Hinterhöfe und niedrigen Gassen.

  Ich spielte mich mit verschiedenen Gedanken. Fotografie war eine Herausforderung, nachdem die meisten Menschen stumm wurden und nicht mehr mit mir sprachen, wenn ich sie fragte ob ich ein Foto von ihnen machen dürfte…wenn mir jemand helfen könnte, der Arabisch sprach, wäre zumindest die Kommunikation einfacher und man könnte vermitteln, was man denn machen will. Da war auch noch der Wunsch, die Stadt mit jemandem zu erleben, der sie auf eine unmittelbare Art und Weise kannte. Außerdem stand mir der Sinn einfach nach einem kleinen Abenteuer, bei dem ich den Ausgang nicht ganz vorhersehen konnte.

  Einen Dealer zu bitten, mich durch die Stadt zu führen und mir bei meinen Fotos behilflich zu sein, erschien mir nach diesen Gesichtspunkten als eine interessante Idee…

OpenArt – Workshops for Painting/Drawing/Photography And Dance All Over the Globe

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OpenArt ist der Versuch von mir, Sebastian Buchner, und meiner Mutter, Christine Buchner, Kunst, Kreativität und Reisen miteinander zu verbinden. Wir bieten seit 2010 Workshops in Fotografie und Malerei an den unterschiedlichsten Plätzen der Welt an. Bisher haben wir Workshops in Europa, Afrika und Asien geplant und durchgeführt.

Dazu mieten wir gemeinsam mit einer bewusst klein gehaltenen Gruppe eine Basis, ein Haus oder ein Riad oder ein großes Apartment oder eine Villa, in der wir genug Platz haben diese Workshops durchzuführen und das in einer Umgebung steht, die uns reichhaltige Motive für die künstlerische Tätigkeit liefert.

Wir arbeiten beide als Künstler und Kursleiter – ich habe zusätzlich mehrjährige Erfahrung als Reiseleiter, die mir hier bei Organisation und Durchführung der Workshops sehr zugute kommt – und möchten unsere Philosophie des Reisens mit offenen Augen mit diesen Workshops vermitteln. Nach Möglichkeit versuchen wir in Kontakt mit regionalen und lokalen Künstlern zu treten und sie bitten, ihre Arbeit mit den Besuchern zu teilen.

Es ist zwar eine Gruppenreise, aber sie ist mit dem Geist einer Individualreise organisiert. Wir arbeiten nicht nach Fließband und liefern vorgefertigte Erfahrungen, sondern jede Reise ist einzigartig und wächst mit der Teilnahme der Mitreisenden. Unerwartetes, die eigentliche Essenz des Reisens, versuchen wir nicht zu vermeiden nur um zweifelhaften Komfort und steril-reibungslosen Ablauf zu bieten.

Programm sind unsere Workshops, die meistens halbtägig ablaufen. In manchen Fällen haben wir Ausflüge organisiert, aber wir achten immer darauf, dass es genug Freiraum für Improvisation gibt.

Mit 2014 freue ich mich sehr, dass wir zusätzlich zu Malerei und Fotografie auch Tanzworkshops anbieten können. Die werden geleitet von der wunderbaren Tänzerin Michaela Hamajova, die solo und als Teil des Tanzduos Nakari nationale und internationale Auftritte und mehrere Jahre Workshoperfahrung vorweisen kann. Sie tanzt in der faszinierenden Welt von Tribal Dance – eine Art des Tanzes in der uralte und moderne Einflüsse aus der ganzen Welt zusammenkommen und wo der Fokus auf individuellem Ausdruck, Improvisation und Kreativität liegt. Eine Bereicherung unseres Angebotes, das besser kaum in die Philosophie von OpenArt passen kann.

Das hier ist unsere Vorstellung der Philosophie, Idee und der Veranstalter. Wir arbeiten derzeit am Programm für 2014, das wir bald präsentieren können. Für interessierte, das verbleibende Programm von 2013 ist auf unserer Seite http://www.openart.or.at zu finden.

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OpenArt is the attempt of myself, Sebastian Buchner, and my mother, Christine Buchner to bridge creativity, art and travel, the fundaments of our lives. OpenArt offers painting and photography workshops all around the world, allowing people to experience foreign cultures through art and develop their own creativity. We started this program in 2010 and have so far offered courses in Europe, Africa and Asia.

Our basic setup goes like this: We rent a place that serves as our headquarters. This can be a loft, a villa, a riad or an alternative style homestead. From these headquarters, where there is ample space to conduct the workshops, cook our own meals if desired and to have some space of one’s own as well as the comfort of the group, we explore the surroundings, looking for ideal motifs to sketch or places and people to photograph.

Both of us have experience working as artists and conducting workshops – in addition I have been working as a tour guide for several years and can benefit from this experience while I organize the workshops and scout for new locations. Our philosophy is all about traveling with open eyes, an open mind and an open heart. Whenever we have the possibility we try to work with local artists and encourage them to show us their work and methods.

We are traveling with a group, yes, but we do our best to organize the workshops in the spirit of individual traveling. This is not a factory-made, all-expenses-paid, resort-and-animator style workshop, but a communal and cultural and above all creative experience. It requires participation, but it also rewards it. Additionally we do not try to eliminate the Unexpected – a staple of every journey – but we try to embrace it.

The program consists of our workshops. These usually take up half the day. Some days we organize excursions or meetings, but there is always enough room for improvisation.

From 2014 (and hopefully onward) I am very happy to introduce a new aspect of OpenArt. Dance workshops. Those are led by the wonderful dancer and teacher Michaela Hamajova. She has been dancing nationally and internationally as a solo dancer and as member of the duo Nakari and has been teaching workshops for several years. Her style of dance is Tribal, an eclectic mix of ancient and modern traditions that emphasizes personal creativity, individual expression and improvisation. I couldn’t imagine a better fit for OpenArt’s philosophy.

This is simply our introduction – we hope we have presented the philosophy and idea behind OpenArt in a convincing manner. Currently we are working on our program for 2014. For anyone who is interested in the current program, may I refer you to our website: http://www.openart.or.at

Von der Suche nach sich selbst

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Vor einigen Jahren las ich in einem Magazin oder Buch einen bemerkenswerten Satz. „Es ist schade,“ schrieb der Autor, „dass so viele Menschen hier [es handelte sich um Indien] nur auf der Suche nach sich selbst sind. Es gibt doch so viele interessante Dinge zu sehen. Die sehen die alle nicht.“

  Damals, vermutlich noch auf der Suche nach mir selbst, stieß ich mich heftig an dem Satz. Es war doch nicht schlecht nach sich selbst zu suchen und außerdem sieht man da doch so vieles usw. usw. Heute, mit Dreißig, weiß ich dass er recht gehabt hat.

  Ich sehe heute viele Menschen, die nach sich selbst suchen und dabei alles andere übersehen. Manchmal macht mich das zornig, manchmal lässt es mich ein wenig verzweifeln. Mit solchen Menschen zu sprechen ist nicht einfach, weil sie auf ihre eigene Reaktion warten anstatt sie geschehen zu lassen. Sie merken immer nur ihre eigene Ansicht und Reaktion auf etwas und spielen sich dann ewig mit dem Gedanken, ob es denn wirklich ihre eigene Reaktion sei, ob sie sich selbst gemäß reagiert haben und so fort.

  Vor meinem zweiten Besuch in Indien hatte ich mir überlegt, dass ich selbst wohl das am wenigsten Interessante im ganzen Land sein würde…und ich hatte vollkommen recht. Es gab dort Menschen mit ihren mannigfaltigen Problemen und Hoffnungen, Komplexitäten, die ich mir nicht hätte träumen lassen, Welten um Welten um Welten. Nur, wenn man aufhört sich mit sich selbst zu beschäftigen und mit den ganzen illusorischen Problemen, die einem das Leben (nach dem eigenen Denken) so schwer machen, dann muss man sich den wirklichen Problemen stellen.

  Ungerechtigkeit, Dummheit, Gier, Selbstsucht, Machtlosigkeit im Angesicht von furchtbaren Handlungen, Gewalt. Alles das geschieht und ab einem gewissen Punkt wird man sich klar, dass man sich innerhalb dieser Welt zurechtfinden muss und das ohne seine Hoffnung oder den positiven Ausblick zu verlieren oder, schlimmer, ihn zu Klischees verkommen zu lassen.

  Vom blinden Optimismus muss man zu einem beweglichen, unbelasteten Denken finden. Die eigenen Sicherheiten muss man leicht und tragbar halten und sie zur Not auch aufgeben können um sich ohne Sicherheiten durchs Leben zu tasten, denn die Augen, die sind ja jetzt offen.

  Wenn du auf der Suche nach dir selbst bist – ich glaube nicht, dass du dich irgendwo finden wirst. Du handelst und lebst einfach, bis sich die Frage auflöst. Wenn du kannst, gehe auf eine lange Reise. Nicht deinetwegen, sondern wegen aller Menschen, die du treffen wirst.

  Versuche so viele wie möglich zu verstehen und vergiss dich selbst bei jeder Gelegenheit.